Schulleiterin in Interview:
„Fernunterricht als Chance für die Schulentwicklung“
Seit fünf Wochen steuert Schulleiterin Barbara Kreuzer die Stadtteilschule Helmuth Hübener in Barmbek durch die Corona-Krise. Rund 1.100 Schülerinnen und Schüler sowie rund 130 Lehrkräfte praktizieren seitdem den Unterricht als Fernunterricht, unterstützt von engagierten Eltern zuhause. Eine enorme Herausforderung für alle, aber: es läuft. Und nicht nur das: „Ich sehe den aktuellen Fernunterricht sogar als Chance für die Schulentwicklung“, so Kreuzer.
Newsletter: Frau Kreuzer, in einer Videokonferenz mit ihrem Elternrat waren kürzlich alle Eltern regelrecht begeistert davon, wie das Lernen an Ihrer Schule digital gemanagt wird. Was sind die Gelingensbedingungen?
Kreuzer: Eine wichtige Entscheidung, die uns bis heute beflügelt, ist, dass wir der Schulschließung zu 100 Prozent digital begegnet sind. Nach der Entscheidung, den Regelbetrieb auszusetzen, hat es an unserer Schule kein einziges physisches Treffen mehr gegeben. Medienkreis und Schulleitung haben sich zwei Wochen lang täglich bei „Jitsi meet“ getroffen und für alle Aufgabenbereiche die Digitalisierung der Schule durchdacht und Empfehlungen erarbeitet. Nach den Ferien haben die Abteilungsleitungen mit Videokonferenzen von Jahrgang 5 bis 13 die Arbeit aufgenommen.
Newsletter: Und das hat von Anfang an funktioniert?
Kreuzer: Natürlich haben wir Fehler gemacht, etwa viele Besprechungen auf den Vormittag gelegt, so dass gar nichts mehr ging und alle durcheinander geredet haben, das war höllisch anstrengend. Mittlerweile finden alle Besprechungen, egal ob Klassenbesprechungen, Beratungsdienst, Team- oder Schulleitungssitzungen, zu festen Terminen in Videokonferenzen statt. Diese Kommunikationsform haben viele Lehrkräfte auch für ihre Klassen genutzt: Für Klassenräte, für Gruppenarbeit, zur morgendlichen Begrüßung, für Elternabende oder Treffen mit Elternvertretern.
Newsletter: Für den Fernunterricht ist es wichtig, die Schüler zum Selbstlernen zu bringen. Wie schaffen Sie das?
Kreuzer: Überall da, wo neue Medien im Spiel sind, ist die Chance groß, dass Spaß in die Schule einkehrt. In den letzten Wochen sind viele tolle Schülervideos entstanden wie „Ich koche das Mittagessen für meine Familie“, „Erklärvideo zu den von mir gelösten Matheausgaben“ oder „Wir bleiben zu Hause - wie machen wir das?“ Ob dieser Freude, mit der sich die Schüler präsentieren, dem Humor, der Lebendigkeit – da geht mir geht das Herz auf! Und ich empfinde eine große Nähe zu den Schülerinnen und Schülern, obwohl wir uns nicht treffen können.
Newsletter: Und wie stellen Sie sicher, dass die Schüler auch am Ball bleiben?
Kreuzer: Wichtig ist eine Tagesstruktur. Die Klassenlehrer haben zwei ritualisierte Kontakte am Tag. Am Morgen um 9 Uhr, damit alle aufstehen, und gegen Nachmittag. Manche Lehrkräfte wenden sich mit einer Videobotschaft an ihre Schüler, manche lassen ein Foto in die Klassengruppe stellen, andere machen eine Videokonferenz. Eine Tagesstruktur versuchen wir auch durch Aufgabenformate zu erreichen, die die häusliche Realität mit einbeziehen und den Schülern Angebote für den ganzen Tag machen. So bietet etwa ein Sportlehrer gemeinsam mit seiner Tochter für den gesamten Jahrgang 6 tägliche Fitnessübungen an. Wir haben unseren Fernunterricht rund um die Beziehung zwischen Klassenlehrkraft und Klasse gebaut, so wie wir es auch im normalen Schulbetrieb tun.
Newsletter: Wo sehen Sie an Ihrer Schule die Schwierigkeiten beim Homeschooling?
Kreuzer: Wir müssen sehr aufpassen, dass wir die Kollegen nicht überfordern, vor allem wenn sie sich parallel zu allem auch noch in die digitalen Anforderungen einarbeiten müssen und/oder zu Hause ihre Kinder betreuen. Noch nicht zufriedenstellend gelöst haben wir auch das Hin- und Hersenden von Aufgaben und Arbeitsergebnissen. Sehr stark setzen wir uns außerdem mit dem Thema Bildungsgerechtigkeit auseinander, verleihen Tablets, finanzieren Prepaidcards und sammeln jetzt alte Handys für Kinder ohne Internetzugang.
Newsletter: Was nehmen Sie aus dieser Corona-geprägten Zeit mit?
Kreuzer: Was Schüler und Pädagogen zurzeit wirklich verbindet, ist, dass wir alle Lernende sind. Und das verändert Schule zeitgemäß. Ich selbst eigne mir nach und nach digitale Kompetenzen an. Mein Stolz ist dabei mindestens genauso groß, wie wir ihn von Schülern kennen, wenn etwas gelungen ist. Und ich zwinge mich immer wieder, meine Scham zu überwinden, wenn ich eine ganz blöde Frage habe, weil ich denke, dass Schulleitung in diesem Digitalisierungsprozess Vorbild sein muss.
nach oben